«Ein Dorf im Haus»

Tina Puffert, Projektleiterin Immobilien bei Abendrot

Interview mit Tina Puffert, Abendrot-Projektleiterin für das Neubauprojekt «Zusammen_h_alt».

Mit dem Projekt «Zusammen_h_alt»  ist am Winterthurer Lagerplatz ein Wohnmodell entstanden, das zeigt, wie Leben im Alter neu gedacht werden kann: selbstbestimmt, gemeinschaftlich und ökologisch verantwortungsvoll. Realisiert wurde es in einer engen Partnerschaft zwischen Abendrot und der Genossenschaft «Zusammen_h_alt». Tina Puffert, Projektleiterin von Abendrot, begleitete die Entstehung bis zur Fertigstellung. Im Gespräch erklärt sie die besonderen Herausforderungen – und weshalb das Projekt auch über Winterthur hinaus Strahlkraft hat.

 

Wie sind die Stiftung Abendrot und das Projekt «Zusammen_h_alt» aufeinander aufmerksam geworden?

Die Initiative kam von der Genossenschaft. 2012 trat «Zusammen_h_alt». mit dem Wunsch an uns heran, einen ihrer Vision entsprechenden Wohnungsbau für das Alter zu realisieren. Wir hatten den Lagerplatz bereits 2009 erworben und verfolgten dort ein nachhaltiges Nutzungskonzept mit einer lebendigen Mischung aus Ateliers, Büros, Gewerbe, Gastronomie, Freizeit- und Schulnutzungen sowie Wohnen. Zunächst prüften wir gemeinsam ein anderes Grundstück, das sich jedoch als ungeeignet erwies. Daraufhin schlugen wir den heutigen Standort vor. So entstand eine ideale Partnerschaft: «Zusammen_h_alt» brachte die Vision eines «Dorfs im Haus» ein, wir unsere Erfahrung mit Entwicklung, Umsetzung und teilgemeinschaftlichen Wohnformen.

 

Welche Rolle übernahm Abendrot als Trägerin – insbesondere im Planungs- und Bauprozess?

Abendrot ist Eigentümerin des Grundstücks und finanzierte die Planung sowie den Bau. Mit «Zusammen_h_alt» vereinbarten wir eine Kostenmiete, wodurch die Genossenschaft von Anfang an in die Verantwortung einbezogen wurde. Zusätzlich konnte die ZHAW als zweite Globalmieterin gewonnen werden.

Als Bauherrin war es unsere Aufgabe, Kosten, Qualität und Termine im Griff zu behalten – und gleichzeitig die spezifischen Bedürfnisse der künftigen Bewohnerschaft und der Hochschule zu berücksichtigen. Gemeinsam bildeten wir eine Baukommission, in der alle wichtigen Entscheide möglichst im Konsens getroffen wurden.

 

Wie gestaltete sich die Zusammenarbeit mit der Genossenschaft in der Konzeptionsphase?

Die Genossenschaft war von Anfang an eng eingebunden. 2013 lobten wir gemeinsam einen Studienauftrag aus, um das Raumprogramm festzulegen und die Idee zu konkretisieren. Aus diesem Wettbewerb ging das Siegerprojekt hervor, das auch das Architektenteam bestimmte. «Zusammen_h_alt» brachte ihre Vorstellungen zur Gemeinschaftsgestaltung ein und war sowohl im Ausschuss als auch in der Baukommission vertreten.

Diese frühe Integration war bewusst gewollt – auch wenn sie Flexibilität verlangte. Viele baurechtliche und finanzielle Fragen waren zu Projektbeginn noch offen.

 

Was war aus architektonischer oder städtebaulicher Sicht besonders herausfordernd?

Das Gebäude vereint rund 100 Alterswohnungen mit zahlreichen Gemeinschaftsräumen – und im Erdgeschoss ein grosszügiges Wasserbaulabor sowie Vorlesungsräume für die ZHAW. Dieses Nebeneinander sehr unterschiedlicher Nutzungen stellte eine grosse planerische Herausforderung dar.

Städtebaulich markiert das Gebäude den Übergang vom Lagerplatz zum angrenzenden Wohngebiet. Gefragt war daher eine Balance zwischen Abschluss und Anschluss, eine klare Adresse zur Strasse und gleichzeitig dichte Bebauung mit hoher Aufenthaltsqualität in Innen-, Aussen- und Zwischenräumen.

 

Welche Ziele verfolgte Abendrot in Bezug auf Ökologie, soziale Nachhaltigkeit und Nutzungsmischung?

Wir wollten einen Beitrag zur 2000-Watt-Gesellschaft leisten und setzten auf eine ressourcenschonende Bauweise mit langlebigen Materialien.

Im Zentrum stand aber die soziale Nachhaltigkeit: selbstbestimmtes Wohnen im Alter, unterstützt durch gemeinschaftliche Räume, die Begegnungen fördern und den Alltag erleichtern. Zudem legten wir Wert auf Nutzungsmischung – Wohnen, Gemeinschaftsräume, Ateliers, Laden/Bistro und Gästehaus sollten ein lebendiges Haus schaffen, das sich eng mit dem Quartier vernetzt.

 

Welche Erfahrungen konnte Abendrot mit partizipativen Prozessen einbringen – und was war neu?

In all unseren Projekten ist es Ziel, die künftigen Nutzerinnen und Nutzer früh einzubeziehen. Neu war hier die Dimension: ein grosses Alterswohnprojekt mit über 100 Wohnungen, zahlreichen Gemeinschaftsräumen – und einer Genossenschaft, die basisdemokratisch organisiert ist. Das Zusammenspiel von professioneller Projektsteuerung, basisdemokratischen Entscheiden und den Anforderungen der ZHAW war anspruchsvoll – zugleich aber sehr bereichernd.

 

Welche Elemente wurden bewusst gemeinschaftsfördernd geplant?

Es gibt ein grosses Forum als «Alltagsbühne», einen Stillen Raum, mehrere Gästezimmer, eine Gemeinschaftsküche, Werkstätten, eine kleine Kapelle, eine Bibliothek und eine gemeinsame Waschküche. Zwischenräume sind als Begegnungszonen gedacht.

Auch draussen legten wir Wert auf Aufenthaltsqualität – etwa mit grosszügigen, bunt bepflanzten Terrassen. Die Erschliessungsgänge sind innen wie aussen als «Gassen» gestaltet und fördern zufällige Begegnungen.

 

Wie wirkt das Projekt heute – im Haus und im Quartier?

Seit dem Bezug 2020 ist das Haus zu einem lebendigen Ort geworden. Der Hochschulbetrieb läuft, die Hausgemeinschaft hat sich etabliert und nutzt die Flächen rege. Es gibt Sommerfeste, Leseabende, Strickcafés oder Tanzfeste.

Auch die Gewerbeflächen sind vollständig vermietet und bieten ein breites Angebot für das Quartier: Kinderkrippe, Friseur, Büros, Ateliers, Dienstleistungen und ein stets gut besuchtes Bistro. So wirkt das Gebäude nach aussen und verbindet sich mit seiner Umgebung.

 

Gibt es Aspekte, die auf andere Abendrot-Projekte übertragbar sind?

Ja. Vor allem die enge Kooperation mit künftigen Nutzerinnen und Nutzern bereits in der frühen Konzeptphase. Auch das Nebeneinander sehr unterschiedlicher Nutzungen – in diesem Fall Wohnen über einem Wasserbaulabor (!) – ist spannend und wird von uns auch in anderen Projekten geprüft.

 

Welche Bedeutung hat das Projekt für die Entwicklung des Lagerplatz-Areals?

Der «Zusammen_h_alt» bringt eine grosse Bewohnerschaft auf den Lagerplatz, die viel Zeit «zuhause» verbringt. Damit kam erstmals Wohnen auf das Areal, das zuvor fast ausschliesslich gewerblich genutzt war. Das stärkt die Nutzungsvielfalt – und wir sind überzeugt, dass gerade diese Vielfalt gute Nachbarschaften fördert. Zugleich bringen die neuen ZHAW-Räumlichkeiten ein quirliges, junges Publikum auf den Lagerplatz. Büros, Ateliers, Dienstleistungen und Gastronomie vernetzen das Gebäude zusätzlich mit der Nachbarschaft. All dies trägt wesentlich zur nachhaltigen Entwicklung des Areals bei.

 

Mehr zum Projekt:

  • Bericht «Zusammen_h_alt» – Wohnen im Alter neu gedacht
  • Interview zum Film «Horizonte» über die Entstehung des «Zusammen_h_alt»

Tina Puffert, Projektleiterin Immobilien bei Abendrot

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